Im Jahr 1977, also kurz nach dem Abschluss meines Studiums der Germanistik und Politikwissenschaften an der Uni Tübingen, als ich auf Geheiß des Oberschulamtes Tübingen als Lehramts-Referendar ins beschauliche Ravensburg übersiedeln sollte, bekam ich plötzlich und heftig das, was man gewöhnlich „kalte Füße“ nennt! Der Grund dafür: ich hatte mein ganzes bisheriges Leben in Bildungs-Institutionen zugebracht und bis dahin eher nicht den Eindruck, von demselben wirklich etwas verstanden zu haben. Stattdessen fühlte ich mich irgendwie unausgereift, unfertig. Wollte ich also wirklich wieder in eine lediglich neue Ausgabe des immer selben gehen, um darin anderen Menschen etwas von draußen, vom „richtigen“ Leben zu erzählen? Nein, das ging nicht, das konnte ich nicht!
Ich war damals 25 Jahre jung, und meine damalige Partnerin war nicht ohne Grund der Meinung, dass es hilfreicher für mich sein würde und besser, mich erstmal hinzulegen, anstatt mich vor andere Menschen hinzustellen. Was sie damit meinte, war die Couch eines Psychoanalytikers. Das tat ich dann auch in den folgenden Jahren: auf der Couch schaute ich nach innen, schauteich nach und und lebte endlich im Außen, nicht zuletzt auch als Taxifahrer, was mich materiell über Wasser hielt.
Nach zwei Jahren Bildungs-Pause fing ich an, Sozialpädagogik zu studieren. Gleichzeitig war ich durch die segensreiche Wirkung meiner Psychoanalyse vom Prinzip der Psychotherapie so begeistert, dass es völlig klar für mich war, daß ich beruflich auch selbst in diese Richtung gehen wollte.
Ich hatte – inzwischen 31 Jahre alt – nach dem Ende meines Zweitstudiums an der Fachhochschule für Sozialpädagogik in Reutlingen das Glück, in einen der wenigen Bereiche einsteigen zu können, in dem es für Sozialpädagogen überhaupt die Möglichkeit gab, psychotherapeutisch arbeiten zu können: die Arbeit mit suchtkranken Menschen, in meinem Fall an einer Beratungsstelle der Evangelischen Gesellschaft in Stuttgart. Die ersten knapp 10 Jahre meines Berufslebens durfte ich also in einem Team arbeiten, das damals vom Träger fachlich sehr gut ausgestattet war.
Dies war u.a. auch deswegen sehr wichtig, weil ein Teil meiner Aufgabe darin bestand, in der Untersuchungshaftanstalt Stuttgart-Stammheim mit Männern zu arbeiten, die im Zusammenhang mit ihrer Suchtmittelabhängigkeit Straftaten begangen hatten. Das war eine schwierige Arbeit in einem Raum mit viel Verzweiflung und Aggression, in dem ich allerdings für meine spätere Arbeit mit freien Männergruppen sehr viel gelernt habe. Gleichzeitig hatte ich mit der therapeutischen Zusatz-Ausbildung zum Psychodramatiker am Moreno-Institut in Stuttgart begonnen, einer Methode der humanistischen Therapierichtung, was mir dazu verhalf, mich auf die Männer im Knast gleichzeitig einzulassen und mich abzugrenzen.
1994 entschloss ich mich dazu, die Arbeit in der Institution zu verlassen und mich als „Freier“ zu versuchen. Ich erwarb den dazu notwendigen Titel des „Heilpraktikers (Psychotherapie)“, fand in Tübingen einen schönen (Gruppen-)Raum und gründete mit einer Kollegin/Freundin in Stuttgart-Mitte eine Gemeinschafts-Praxis, in der wir 5 KollegInnen sind. Der Arbeitsalltag besteht seither vor allem aus Einzel- und Paar-Therapie.
Ungefähr zur gleichen Zeit fand ich glücklicherweise das, was ich in therapeutischer und spiritueller Hinsicht meinen Lehrer nenne: Michael Plesse, Gründer von „Orgoville Int.“ und der körper- und bewußtseinsorientierten Methode der „Orgodynamik“. In seiner Art, die Dinge zu sehen und zu verstehen, erlebte ich über fast 10 Jahre hinweg immer wieder ein erstauntes: „Aha!“, und „ja, genau so sehe ich das auch, es war mir bis zu diesem Moment nur noch nicht wirklich bewußt!“ Als ich ihm gegenüber einmal zum Ausdruck brachte, wie froh ich darüber war, ihm als meinem Lehrer begegnet zu sein, sagte er in seiner feinen, augenzwinkernden Art: „Das freut mich sehr, und gleichzeitig ist es ja so, dass ich lediglich die äußere Repräsentanz Deines inneren Lehrers bin!“ Auch für diese Antwort bin ich ihm bis auf den heutigen Tag sehr dankbar.
Bei Orgoville lernte ich im Lauf der Jahre die Bewegungs-Meditationen von OSHO intensiv kennen und praktizieren, die ich als sehr hilfreichen Katalysator für Lern- und Entwicklungs-Prozesse aller Art und einen Alltagsbegleiter verstehe, der uns „im Fluss“ hält. Seit vielen Jahren praktizieren wir diese einstündigen Meditationen (v.a. Kundalini-, Chakra-Breathing-, Nada-Brahma-Medi) im AHA-Raum jeden Freitag morgen um 8 Uhr in einer freien Gruppe von interessierten Menschen samt anschließendem Austausch bei einem Morgen-Kaffe oder -Tee mit sehr viel Freude! Seit 2 Jahren leitet diese Gruppe nun meine Kollegin Gabriele, mit zeitweiliger Unterstützung von Anne, ebenfalls einer lagjährigen Teilnehmerin der Morgen-Mediationen.
Mit meiner freien therapeutischen Tätigkeit begann auch meine Arbeit als Supervisor. Dabei arbeitete ich schwerpunktmäßig bis vor kurzem über 25 Jahre in Institutionen, in denen ich ehrenamtliche Mitarbeiter bei ihrer Krisen-Beratung am Telefon unterstütze, heute wieder mehr in meinem ursprünglichen Arbeitsbereich, also der mit suchtkranken Menschen.
Ein anderer supervisorischer Schwerpunkt war zwischen 2007 und 2015 die Tätigkeit in Teams einer psychiatrischen Klinik, was für mich deswegen eine große Bedeutung hatte, weil die Qualität meiner Arbeit sich auch und gerade in der Unterstützung von Menschen zu beweisen hat, die in ihrem alltäglichen beruflichen Tun existentiell herausgefordert sind: nämlich mit Menschen einen Umgang und einen Zugang zu ihnen zu finden, die für ihr psychisches und seelisches Leid schon sehr spezielle, oft unverständlich erscheinende Bewältigungsmechanismen und Abwehrformen entwickelt haben, und welche deswegen u.U. als hoffnungslos, als verloren erscheinen. Und gerade hier sich eben nicht abzuwenden (vielleicht auch aus dem Erschrecken heraus über den Spiegel, den sie uns für unsere eigenen inneren Abgründe vorhalten), sondern die Haltung des Mitfühlens und Verstehenwollens aufrechtzuerhalten, war für mich etwas Kostbares, für das ich gerne meine ganze Kraft unterstützend eingesetzt habe.
Eine mir sehr liebe Tätigkeit war zwischen 1996 und 2016 auch ein Lehrauftrag als Honorardozent an der Hochschule für Sozialwesen in Reutlingen/Ludwigsburg. Hier erarbeite ich mit den Studenten (manchmal auch Studentinnen) das Thema der „Männlichen Sozialisation“ und ihren Zusammenhang mit der Frage, inwieweit diese dafür verantwortlich ist, dass Männer in weit höherem Ausmaß als Frauen dazu neigen, in Konfliktsituationen zu gewaltförmigen Lösungsmustern zu greifen.
Sehr dankbar bin ich dafür, dass ich während eines Retreats meiner Mentorin Mechthild Behren im Jahr 2011 das Mantra-Singen kennen und lieben gelernt habe! Es war mir schnell klar, dass es eine große Bereicherung nicht nur meines eigenen Lebens werden sollte, sondern auch meine Arbeit mit Gruppen zu etwas Neuem führen würde, nämlich einer sehr natürlichen Form der Entlastung der Menschen von den Mühen ihres Alltags! Es ist immer wieder eine große Glückserfahrung für mich, Menschen an den Mantra-Abenden mehr oder weniger gestresst ankommen zu sehen, um dann zu erleben, wie sie nach 2 Stunden des gemeinsamen „Seins mit Mantren“ beschwingt und beseelt in die Nacht „davonschweben“!
Alle genannten Arbeitsbereiche sind oder waren – jeder für sich genommen – für mich ungeheuer interessant! Zusammen bilden sie für mich ein Lernfeld, in dem jedes der darin vorkommenden Themen die anderen auf seine spezielle Art berührt und bereichert. Ich bin sehr dankbar, auf diese Weise arbeiten zu können und einen Beitrag dazu leisten zu dürfen, dass menschliches Leid an der einen oder anderen Stelle immer mal wieder gelindert werden kann.